
Luise Rinsers Roman „Mitte des Lebens“, 1950 erschienen, führt uns in das Schicksal der Studentin Nina, teils aus der Sicht ihrer älteren in bürgerlichen Verhältnissen lebenden Schwester, teils durch Ninas eigene briefliche Korrespondenz aus den Jahren 1929 bis 1947. Letztere bezieht sich im Wesentlichen auf ihre fragile Beziehung zu dem um zwanzig Jahre älteren Professor Stein, die letztlich scheitert. Ob Nina, schließlich nach England ausgewandert, ihre Schwester wiedersehen wird, bleibt offen.
„Ich will dieses Äußerste. Ich fühle eine sonderbare Entschlossenheit dazu.“
Vor dem Hintergrund einer faszinierenden Mischung aus bürgerlichen Konventionen und politischen Rahmenbedingungen begleiten wir Nina aus unmittelbarer Nähe auf ihrem für sie so schwierigen Weg, sich selbst und ihre Bestimmung im Leben zu finden. Auch da, wo wir Lesende Ninas Verhalten und ihre Äußerungen nicht nachvollziehen können, bleiben wir ihr eng verbunden und leiden mit ihr. Man ist dadurch in der Rolle Steins, der in seiner Liebe und seinem Begehren, mit Nina zusammen zu sein, immer wieder irritiert ist und zurückgestoßen (und sie am Ende auch nicht festhalten) wird.
„Du konntest mein Leben nicht gutheißen, es war dem deinen zu verschieden.“
„Mitte des Lebens“, sprachlich und im spannenden Wechsel zwischen Rahmenhandlung und Kerngeschehen auf höchstem Niveau, ist für mich ein sehr emotionales Buch, da es mich als Leser (mit all meinen Gefühlen) unmittelbar und ungefiltert anspricht. (Manfred Schmitz-Berg)
Über die Autorin: Das Leben Luise Rinsers (*1911) war vielschichtig: Sie stand in jungen Jahren dem Nationalsozialismus nahe, verbrachte 1944 jedoch wegen „Wehrkraftzersetzung“ einige Wochen in Haft; in späteren Jahren äußerte sie sich positiv zu autoritären Machthabern wie Ajatollah Chomeini oder Kim Il-Sung, protestierte andererseits aber gegen Kernkraft und Raketenstationierung und kandidierte 1984 auf Vorschlag der Grünen um das Amt des Bundespräsidenten.